Behörden und Gerichte versuchen beim besonderen Kirchgeld immer wieder, die an sich eindeutige Rechtslage zu umgehen und das besondere Kirchgeld rechtswidrig auf Doppelverdiener auszuweiten. Es sind Argumentationsmuster erkennbar.
Das BVerfG hat wie gesagt am 14.12.1965 in einer ganzen Reihe von Verfahren zur kirchlichen Besteuerung bei glaubensverschiedener Ehe gleichlautend Stellung genommen. Auch wenn nur eine dieser Entscheidungen Gesetzeskraft hat (1 BvL 2/60), sind diese Entscheidungen doch eindeutig und konsistent:
- Es gilt die Individualbesteuerung.
- Nur das Kirchenmitglied ist gegenüber der Kirche steuerpflichtig
- Es muss nach Merkmalen in der Person des Kirchenmitgliedes besteuert werden.
- Bei eigenem Einkommen des Kirchenmitglieds muss dieses Einkommen besteuert werden.
- Kein Splittingverfahren.
- Kein Zusammenrechnen des Einkommens des Steuerpflichtigen mit dem des Nicht-Steuerpflichtigen.
- Besteuerung nach Lebensführungsaufwand nur wenn mangels eigenen Einkommens kirchensteuerfrei.
.
Der Zusammenhang zwischen dem Urteil des BVerfG, das das besondere Kirchgeld unter bestimmten Prämissen ermöglich hat, und dessen praktischer Erhebung wird durch spätere Festlegungen verdeckt:
- Der Lebensführungsaufwand muss nicht als Besteuerungsgegenstand benannt werden (z.B. BFH I R 76/04, Ziffer II 3 b cc). Damit entfällt der begriffliche Bezug auf das o.a. Urteil des BVerfG.
- Der Lebensführungsaufwand darf hilfsweise und typisierend anhand des gemeinsam zu versteuernden Einkommens der Eheleute gemessen werden. (BFH z.B. I R 76/04), was dort nur für die Alleinverdienerehe gesagt wurde.
- Folge: Es erscheint nur noch das gemeinsam zu versteuernde Einkommen der Eheleute als Bezugsgröße.
Somit wird unsichtbar, dass das besondere Kirchgeld auf die Besteuerung nach Lebensführungsaufwand zurückgeht, die vom BVerfG nur für den Fall des konfessionslosen Alleinverdieners ermöglich wurde – das Kirchenmitglied muss ja „mangels eigenen Einkommens kirchensteuerfrei“ sein.
.
Im deutschen Recht bindet ein Urteil i.d.R. nur die Beteiligten in Bezug auf den entschiedenen Sachverhalt. [1] Gerichte ziehen dennoch in der Regel frühere Entscheidungen anderer Gerichte bzw. deren Begründungen zur Begründung ihrer eigenen aktuellen Entscheidung heran, mit oder ohne Textzitat, mit oder ohne Quellenangabe. Dies dient nicht nur der Effizienz (man kopiert geeignete Textpassagen), sondern auch der Einheitlichkeit der Rechtssprechung.
Bei Entscheidungen zum besonderen Kirchgeld bei Doppelverdienern fällt aber auf, dass die Gerichte frühere Urteile sehr selektiv heranziehen, eher zugunsten der Kirchen. Damit pflanzen sich Fehler fort, was den Anschein einer gefestigten Rechtsprechung erweckt.
Zur Legitimitierung der Besteuerung des Lebensführungsaufwandes nimmt man zwar Bezug auf das Urteil des BVerfG 1 BvR 606/60, aber meist nur pauschal durch Angabe der Fundstelle (z.B. als BVerfGE 19, 268), die dem Laien i.d.R. nicht unmittelbar zugänglich ist. Textzitate (gekennzeichnet oder nicht) findet man selten, die Benennung der Einschränkung „mangels eigenen Einkommens kirchensteuerfrei“ kaum – was noch nicht heißt, dass sie auch beachtet wird.
Es fällt weiter auf, dass zwar auf Teile des nicht-bindenden Obiter dictum dieses Urteils Bezug genommen wird, nicht aber auf die bindenden tragenden Gründe dieser Entscheidung bzw. die der weiteren Entscheidungen von diesem Datum.
(Urteile des BVerfG sind nach § 31 (1) BVerfGG für alle Behörden und Gerichte in Bezug auf den entschiedenen Sachverhalt bindend, auch ihre tragenden Gründe. [2])
.
Obwohl aus der Rechtsprechung des BVerfG der verfassungsrechtliche Rahmen für die kirchliche Besteuerung bei glaubensverschiedener Ehe klar und eindeutig ist, ziehen die Gerichte in Urteilen zum besonderen Kirchgeld bei Doppelverdienern lieber alle möglichen Urteile auch unterer Instanzen ohne Bindungswirkung zur Begründung heran, als dass sie die tragenden Gründe aus den Entscheidungen des BVerfG auch nur erwähnen. Zudem werden nicht selten Urteile auf andere Fallkonstellationen oder Sachverhalte übertragen (z.B. von KiESt auf Kirchgeld) oder gleich falsch verwendet. Der geneigte Betrachter kann wählen, ob er lieber Unvermögen oder Unwillen unterstellen will.
Insgesamt findet man Argumentationsmuster, die mit diesen und anderen Ungenauigkeiten versuchen, ein besonderes Kirchgeld auch dann zu begründen, wenn das Kirchenmitglied eigenes Einkommen hat. Beispiele:
- Formalia auf Landesebene:
Die formelle Rechtmäßigkeit der staatlichen und kirchlichen Gesetzgebung auf Landesebene (Bestimmtheit, Rückwirkung usw.) wird ausführlich dargelegt („nach diesen Bestimmungen rechtsmäßig“). - Bundesrecht: Nur die Kirchgeldtabelle.
Deren formelle und materielle Rechtsgrundlage auf Bundesebene wird nur sehr selektiv erwähnt, i.w. nur die Rechtmäßigkeit der hilfsweisen pauschalierten Bemessung des Lebensführungsaufwandes am gemeinsam zu versteuernden Einkommen (also die Kirchgeldtabelle, diese dafür ausführlichst). Das Ganze ungeachtet eines eigenem Einkommens des Kirchenmitglieds. - Selektive Betrachtung:
Es wird nur ein Teil der Bestimmungen (i.a. die pauschalierte Bemessung am gemeinsam zu besteuernden Einkommen) erörtert und für rechtmäßig befunden; Fragen z.B. der Heranziehung oder die Vergleichsberechnung aus anderen Bestimmungen der KiStG oder der kirchlichen Beschlüsse werden nicht angesprochen. - Falsche Fallkonstellation:
Die Rechtmäßigkeit z.B. der hilfsweisen Bemessung am gemeinsam zu versteuernden Einkommen wird auch für den Fall von Doppelverdienern mit Urteilen begründet, die sich tatsächlich aber nur auf Fälle von Alleinverdienern beziehen oder ganz andere Fragestellungen haben. - Trennung Sachverhalt und Bestimmungen:
Fallkonstellation und anzuwendende Vorschriften werden getrennt erörtert, so dass deren Geltung auch entgegen der Fallkonstellation suggeriert wird. - Nur: „Gemeinsam zu versteuerndes Einkommen“
In Steuerbescheiden und auch in der Kirchgeldtabelle wird nur das „gemeinsam zu versteuernde Einkommen“ angeführt.
Man beruft sich darauf auch bei eigenem Einkommen des Kirchenmitglieds.
Dass das o.a. Urteil des BVerfG von 1965 Gegenteiliges sagt, bleibt unbeachtet. - Kirchgeldtabelle generell rechtmäßig:
Der Stufentarif der Kirchgeldtabelle mit der Bemessungsgrundlage „gemeinsam zu versteuerndes Einkommen“ wird regelmäßig als konform mit dem o.a. Urteil des BVerfG beurteilt.
Man beruft sich darauf auch im Falle von Doppelverdienern und „vergisst“ die implizite Begrenzung auf Alleinverdiener, wie sie bereits das BVerwG 1977 festgestellt hat. - Ausklammerung der Vergleichsberechnung.
Obwohl die sog. Vergleichsberechnung aus den KiStB für den Einzelfall der eigentliche Grund für die Heranziehung zum besonderen Kirchgeld bei eigenem Einkommen des Kirchenmitglieds ist, wurde sie nur in ganz wenigen Urteilen erwähnt und nirgendwo rechtlich näher betrachtet. - Randthemen breitgetreten:
Es werden unwesentliche Randthemen ausführlichst dargelegt, der Kern – ob überhaupt Kirchgeld festgesetzt werden darf – wird nicht betrachtet oder im Nebensatz weggewischt. - Regeln der KiESt übernommen:
Entscheidungen zur Kircheneinkommensteuer bei konfessionsverschiedener Ehe werden auf das besondere Kirchgeld bei glaubensverschiedener Ehe übertragen, trotz unterschiedlich gelagerter Steuerpflicht. - Tarn-Floskeln:
Floskeln wie die von der „Überzeugung“ eines Gerichts oder dass etwas „auf der Hand liegt“ tarnen Brüche und Lücken in der Argumentation – ein verlässliches Warnsignal.
Stand 10/2015
Impressum und Datenschutzerklärung: https://kirchgeld-klage.info/impressum/
………………………………………..
____________________________
Anmerkungen:
[1] Vgl. Art. 1 (3), 20(3), 97 (1) GG. Vgl. z.B. Meinhard Schröder: Gesetzesbindung des Richters und Rechtsweggarantie im Mehrebenensystem, Mohr-Siebeck Tübingen 2010, v.a. S. 57 ff
http://de.wikipedia.org/wiki/Richterrecht
[2] http://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Wichtige-Verfahrensarten/Wirkung-der-Entscheidung/wirkung-der-entscheidung_node.html . – Dort heißt es:
„Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden (vgl. § 31 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz). Diese Bindung bezieht sich im Regelfall auf den konkret entschiedenen Sachverhalt.“
Hier geht es durchweg um die kirchliche Besteuerung bei glaubensverschiedener Ehe.