4. BFH-Entscheidungen I R 85 /94 usw.

 

Der BFH hat in einer anderen Kette von Entscheidungen zum besonderen Kirchgeld ausgehend vom Urteil I R 85/94 schleichend den Eindruck erweckt, der vom BVerfG verbotene Halbteilungsgrundsatz sei doch zulässig, so dass das besondere Kirchgeld auch bei eigenen Einkommen des Kirchenmitglieds erhoben werden könne.
Im Beschluss  I B 43/96 hat er schließlich den Halbteilungsgrundsatz beim besonderen Kirchgeld  für „verfassungsrechtlich unbedenklich“ erklärt – entgegen dem expliziten Verbot des BVerfG von 1965.

Alle diese Entscheidungen sind außerordentlich schlecht und zudem falsch begründet; der Kernpunkt ihrer Begründung wurde vom BFH selbst widerrufen. Zudem wurden die tragenden Gründe aus 1 BvR 606/60 nicht berücksichtigt, so dass eine Missachtung von § 31 (1) BVerfGG und somit eine Verletzung von Art. 20 (3) GG vorliegt (BVerfG, 2 BvR 1964/05, Ziffer  B II 1).

Alle diese Entscheidungen widersprechen in Bezug auf das besondere Kirchgeld nach Begründung und Ergebnis der Rechtsprechung des BVerfG zur kirchlichen Besteuerung bei glaubensverschiedener Ehe.

Bei wohlwollender Betrachtung kann man diese Entscheidungen als schlampig bezeichnen.

 

Inhaltsverzeichnis

4.1 BFH-Urteil I R 85/94

4.2 BFH-Beschluss I B 23/96

4.3 BFH-Beschluss I B 43/96

4.4 BFH-Beschluss I B 92/99

4.5 Zusammenfassung

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4.1       BFH-Urteil I R 85/94

Das BFH-Urteil vom 15.3.1995 – I R 85/94 sah für die konfessionsverschiedene Ehe (rk + ev; Alleinverdiener in Zusammenveranlagung) den sog. Halbteilungsgrundsatz für die Aufteilung der Kircheneinkommensteuer auf die Konfessionen der beiden Steuerpflichtigen als verfassungsrechtlich unbedenklich an. (In einigen KiStG steht eine entsprechende Bestimmung, teils unter dem Vorbehalt der Zustimmung der beiden beteiligten Religionsgemeinschaften.)
Dies ist nicht unbedingt zu kritisieren, wohl aber die Rezeption dieses Urteils.

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Der Hinweis in I R 85/94 in Bezug auf das besondere Kirchgeld kann allerdings nicht überzeugen. Der BFH meint dort, das Urteil des BVerfG  1 BvR 606/60 beziehe sich nur auf das dort verhandelte Hamburgische Kirchensteuergesetz:

“ Diese Entscheidung ist jedoch zur Kirchensteuerordnung der Evangelisch-lutherischen Kirche im Hamburgischen Staate …  (…) ergangen, die im Streitfall nicht anzuwenden ist. 

Das ist zwar formaliter richtig, schränkt aber die bundesweite Gültigkeit dieses Urteils nicht ein (andernfalls dürfte das besondere Kirchgeld ja nur in Hamburg erhoben werden). Zudem sagt das BVerfG  dazu in Ziffer B seines Urteils  1 BvR 606/60:

„§ 3 KiStO wirft grundsätzliche verfassungsrechtliche Fragen auf; auch schafft die zu erwartende Entscheidung über den Einzelfall hinaus Klarheit über die Rechtslage in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle und über ähnliche Bestimmungen in Kirchensteuergesetzen anderer deutscher Länder. Die Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG liegen daher vor.“ (Näheres in Abschnitt II 2.7)

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Der BFH sagt dazu in I R 85/94 weiter:

„Der Senat hält eine Übertragung der Entscheidung auf § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KiStG NW nicht für richtig, weil sie auf einem die Ehegatten isolierenden Verständnis der Ehe beruht und das BVerfG inzwischen diese Rechtsprechung – wenn auch nur bezogen auf das staatliche Einkommensteuerrecht – zugunsten einer Interpretation der Ehe als Leistungsfähigkeitsgemeinschaft aufgegeben hat (vgl. BVerfG-Urteil vom 3. November 1982 1 BvR 620/78 u. a., …)“ (Hervorhebung nur hier)

Schon steuersystematisch ist die Darlegung nicht nachvollziehbar:
Der BFH übersieht hier, dass im Einkommensteuerrecht dem Grunde nach beide Ehepartner steuerpflichtig sind, und nur dann ist die Zusammenveranlagung möglich (§ 26 EStG), so dass in der Folge die Ehegatten als ein einziger Steuerpflichtiger gelten (§ 26 b EStG). Lt. § 26 (2) Satz 1 EStG geht dennoch die Individualveranlagung vor, wenn einer der Ehegatten sie verlangt.
Bei einer glaubensverschiedenen Ehe ist aber von vornherein nur der kirchenangehörige Ehegatte kirchensteuerpflichtig, so dass eine kirchensteuerliche Zusammenveranlagung i.S. des EStG nicht möglich ist. Darauf hatte das BVerfG explizit sein Urteil 1 BvR 606/60 begründet. (Zitat s.u.)  Eine Übertragung von Gesichtspunkten des Einkommensteuerrechts auf das Recht von Kirchensteuern insbesondere bei glaubensverschiedener Ehe kommt daher grundsätzlich nicht in Frage. Auch darauf hatte das BVerfG anno 1965 hingewiesen (kein Splittingverfahren, kein Zusammenrechnen der Einkommen).

Es ist unverständlich, dass das oberste Finanzgericht sich zum Kirchgeld äußert, das relevante BVerfG-Urteil nicht kennt und ein anderes heranzieht, das wegen Sachverschiedenheit erkennbar nicht übertragbar ist und somit die Frage der Steuerpflicht unzutreffend beurteilt.

Dem BVerfG ging es damals in 1 BvR 606/60 nicht um „das Verständnis der Ehe“, im Gegenteil. Es hat in 1 BvL 31/62 festgestellt:

„In einer glaubensverschiedenen Ehe besteht gerade auf dem hier in Betracht kommenden Gebiete der religiösen Überzeugung und Haltung eine Gemeinschaft nicht; die eheliche Gemeinschaft beruht nicht auf der gemeinsamen Anerkennung religiöser Glaubensinhalte, Wertvorstellungen und Verpflichtungen.“ (Ziffer C I 2 b)

Auch das Obiter dictum im BVerfG-Urteil 1 BvR 606/60 (Ziffer C II 2) bezieht sich nach Belastungsgrund („mangels eigenen Einkommens kirchensteuerfrei“) und Besteuerungsgegenstand (Lebensführungsaufwand) wegen des Grundsatzes der Indiviualbesteuerung ausschließlich auf die Person des kirchenangehörigen Ehegatten und nicht auf die (glaubensverschiedene) Ehe als Gemeinschaft. (s. Abschnitt II 2.6)

Daher ist schon der Ansatz verfehlt, eine kirchliche Besteuerung und speziell das besondere Kirchgeld unter dem Aspekt der Ehe zu diskutieren. Noch dazu, wenn dieses „Verständnis“ der Ehe aus dem Einkommensteuerrecht begründet ist, wo das zusammenveranlagte Ehepaar als ein einziger Steuerschuldner gilt – genau im Gegensatz zur kirchlichen Besteuerung, wo definitiv die Individualbesteuerung gilt, so dass bei glaubensverschiedener Ehe nur einer der Ehepartner kirchensteuerpflichtig ist.

„Dieses vom hamburgischen Staate der Evangelisch-lutherischen Kirche verliehene Hoheitsrecht besteht nach dem
gleichzeitig verkündeten Urteil des Bundesverfassungsgerichts in den Verfahren 1 BvL 31/62 und 1 BvL 32/62 nur gegenüber ihren Angehörigen, bei glaubensverschiedenen Ehen also nur gegenüber den ihr angehörigen Ehegatten. Der der Kirche nicht angehörende Ehegatte darf weder als Steuerschuldner noch im Wege der Haftung zur Erfüllung dieser Steuerpflicht herangezogen werden.“ (BVerfG, Urteil vom 14.12.1965 – 1 BvR 606/60, Ziffer C I 1)

„Nach   dem   eingangs   genannten   Urteil   des   Bundesverfassungsgerichts   kann   ein   Gesetz   nicht   als   Bestandteil   der verfassungsmäßigen Ordnung angesehen werden, das eine Person zu finanziellen Leistungen an eine steuerberechtigte Religionsgesellschaft verpflichtet, der sie nicht angehört.“ (BVerfG, Urteil vom 14.12.1965 – 1 BvL 31/62, Ziffer C I 2 a)

Die Kritik des BFH am Urteil 1 BvR 606/60 des BVerfG aufgrund eines „gewandelten“ Verständnisses der Familie als Leistungsfähigkeitsgemeinschaft ist auch vom Zeitablauf her nicht nachvollziehbar. Ihre Begründung beruht letztlich auf der in I R 85/94 erwähnten BTDrucks. III/260 S. 34. Die III. Legislaturperiode endete am 17.10.1961, das o.a. Urteil des BVerfG erging vier Jahre später am 14.12.1965.
Im Übrigen: Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 28.10.2010 – 2 BvR 591/06 klargestellt, dass die wesentlichen verfassungsrechtlichen Fragen zum besonderen Kirchgeld u.a. durch seine Entscheidungen vom 14.12.1965 geklärt sind, „insbes.“ in 1 BvR 606/60. Diese gelten also nach wie vor. In seinem Beschluss  I B 109/12 beruft sich der BFH genau darauf.
Es ist nicht ansatzweise erkennbar, weshalb das wolkige „gewandelte Verständnis der Familie“ – von wem und in Bezug auf was auch immer – wichtiger sein sollte als das nahezu zeitgleich auf Basis des GG entschiedene Prinzip der Individualbesteuerung, das nach wie vor die Grundlage für die Besteuerung des Einkommens wie auch für die Grundzüge der kirchlichen Besteuerung darstellt.  [1]

Auch das in I R 85/94 angeführte Urteil  des BVerfG vom 20.4.1966 – 1 BvR 16/66 beinhaltet solches nicht. Es heißt dort nur, dass aus dem Verbot des Halbteilungsgrundsatzes nichts für die Aufteilung der Kircheneinkommensteuer bei konfessionsverschiedener Ehe gewonnen werden könne. Insoweit verwundert diese Darstellung des BFH – gelinde gesagt.

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Ebenso beinhaltet das in I R 85/94 angeführte deutlich spätere Urteil des BVerfG vom 3.11.1982 – 1 BvR 620/78 u.a.  zum Splittingverfahren Derartiges nicht, im Gegenteil.
Dieses Urteil betraf die Besteuerung des Einkommens von Alleinerziehenden gegenüber der von Ehepaaren.  Es betont die Individualbesteuerung (Ziffer C I 2). Für Ehepaare konstatiert es unter Bezug auf die gleiche o.a. Bundestagsdrucksache beim Splitting einen Transfer steuerlicher Leistungsfähigkeit (Ziffer C I 4 a).

Ein solcher  ist bei glaubensverschiedener Ehe aber gerade nicht gegeben: Während bei Zusammenverlagung zur Einkommensteuer mit der Folge des Splittingtarifs beide Ehepartner unbeschränkt steuerpflichtig sind und als ein einziger Steuerpflichtiger gelten, ist bei glaubensverschiedener Ehe nur der eine kirchenangehörige Ehepartner kirchlich steuerpflichtig. Einen Transfer steuerlicher Leistungsfähigkeit gibt es hier nicht.

„In einer glaubensverschiedenen Ehe besteht gerade auf dem hier in Betracht kommenden Gebiete der religiösen Überzeugung und   Haltung eine   Gemeinschaft nicht; die eheliche Gemeinschaft beruht nicht auf der gemeinsamen Anerkennung religiöser Glaubensinhalte, Wertvorstellungen und Verpflichtungen.“  (BVerfG, 1 BvL 31/62, Ziffer C I 2 b)

Der Taschengeldparagraph 1360 a BGB bedeutet nur, dass das besondere Kirchgeld ggf. aus dem Taschengeld zu bezahlen ist; einen weitergehenden Anspruch aus dem Unterhaltsrecht hatte schon das BVerfG in 1 BvR 606/60 verneint.
Das BVerfG hat daher im Urteil vom 14.12.1965 – 1 BvL 31/62 bei der glaubenverschiedenen Ehe wegen der unterschiedlichen Steuerpflicht den genau gegenteiligen Schluss gezogen. (s.o.) Was der BFH hier von sich gibt, hat nichts mit der Rechtsprechung des BVerfG zur kirchlichen Besteuerung bei glaubensverschiedener Ehe zu tun.

Im Übrigen regelt das Urteil  I R 85/94 nicht die kirchliche Besteuerung bei konfessionsverschiedener Ehe (also Heranziehung, Begründung, Tarif etc.), sondern nur, dass die aus der gemeinsamen Einkommensteuerschuld der zusammenveranlagten Eheleute abgeleitete summarische Kircheneinkommensteuer nicht nach den Einkunftsanteilen der beiden konfessionsverschiedenen Steuerpflichtigen aufgeteilt werden muss, sondern hälftig auf die Konfessionen aufgeteilt werden darf. Das ändert an der Art und der Höhe der Steuer überhaupt nichts.
Nur diese hälftige Aufteilung wird mit der erhöhten Leistungsfähigkeit beider Ehegatten aus zwei Einkommen begründet, nicht die Steuerpflicht als solche. Bei einer glaubensverschiedenen Ehe ist aber nur einer Ehegatten (kirchen-)steuerpflichtig, so dass sich diese Frage überhaupt nicht stellt. Im Übrigen ist eine derartige Berechnungsmethode nicht geeignet eine Steuer(-pflicht) zu begründen. [2]

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Insoweit ist nicht annähernd nachvollziehbar, wie aus dem Urteil  I R 85/94 der Schluss gezogen werden kann, das Verbot des Halbteilungsgrundsatzes für die kirchliche Besteuerung bei glaubensverschiedener Ehe aus dem Urteil des BVerfG 1 BvR 606/60 gelte nicht mehr. Da war wohl der Wunsch der Vater des Gedankens.

Ansonsten ist wie üblich darauf hinzuweisen, dass das BFH-Urteil I R 85/94 die tragenden Gründe des verfassungsrechtlich hier maßgeblichen Urteils 1 BvR 606/60 (bei eigenem Einkommen KiESt zwingend, kein Zusammenrechnen der Einkommen) nicht berücksichtigt hat. Die Missachtung dieser Bindungswirkung von § 31 (1) BVerfGG verstößt gegen Art. 20 Abs. 3 GG (Bindung an Gesetz und Recht) (BVerfG, 2 BvR 1964/05, Ziffer  B II 1). Der BFH-Beschluss  I B 43/06 stellt daher keine rechtskonforme Begründung für ein besonderes Kirchgeld bei eigenem Kirchgeld darf, insbesondere auch nicht für künftige Fälle.

Im Urteil vom 8.4.1997 – I R 68/96 hat der BFH denn auch klargestellt, dass aus dem Urteil I R 85/94 gerade nicht hervorgeht, dass der Halbteilungsgrundsatz auch bei glaubensverschiedener Ehe gilt (Ziffer II 2 b).

Auch insoweit ist die nachstehende Feststellung in I B 43/96 zum Halbteilungsgrundsatz beim rk-Kirchgeld obsolet, ebenso andere Urteile, die sich auf die o.a. Darlegung in BFH I R 85/94 berufen.

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4.2      BFH-Beschluss I B 23/96

Der Beschluss des BFH vom 27.9.1996 – I B 23/96 betrifft die Ablehnung einer Nichtzulassungsbeschwerde vermutlich gegen das besondere Kirchgeld. Diese wurde wegen mangelnder Befassung mit der Rechtslage abgelehnt. Dazu hat der BFH u.a.ausgeführt:

„In seinem Urteil vom 15. März 1995  I R 85/94 (BFHE 177, 303, BStBl II 1995, 547) hat der Senat im einzelnen ausgeführt, daß die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts — BVerfG — (vgl. insbesondere Entscheidung vom 14. Dezember 1965 1 BvR 606/60 u. a., BVerfGE 19, 268, BStBl I 1966, 196) aufgrund einer gewandelten Betrachtung der Ehe als Leistungsfähigkeitsgemeinschaft überholt sei. In diesem Sinne hatte bereits das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit Urteil vom 18. Februar 1977 VII C 48.73 (BVerwGE 52, 104) unter Hinweis auf die Möglichkeit der Besteuerung nach dem Lebensführungsaufwand (vgl. BVerfG in BStBl I 1966, 196 unter C II. 2.) entschieden.“  (Hervorhebung nur hier)

Dies muss man wohl so verstehen, dass die Rechtsprechung des BVerfG zur Besteuerung nach Lebensführungsaufwand überholt sei, und zwar dahingehend, dass die Ehe als Leistungsfähigkeitsgemeinschaft gilt und das Verbot des Halbteilungsgrundsatzes nicht mehr gilt. Dies würde bedeuten, dass das besondere Kirchgeld bei glaubensverschiedener Ehe auch bei eigenem Einkommen des kirchenangehörigen Ehegatten erhoben werden darf.

Zunächst ist bemerkenswert, dass der BFH aus einer Regelung zur Verrechnung von Kircheneinkommensteuer bei konfessionsverschiedener Ehe Schlussfolgerung zur Besteuerung nach Lebensführungsaufwand bei glaubensverschiedener Ehe zieht. Wie oben zu I R 85/94 dargelegt, steht dieses in dem Urteil nicht drin und ist v.a. wegen unterschiedlicher Steuerpflicht lt. BVerfG nicht haltbar.

Auch das Urteil des BVerwG VII C 48.73  wird falsch zitiert. Dort steht nicht drin, dass die Rechtsprechung des BVerfG 1 BvR 606/60 überholt sein. Der Begriff „Leistungsfähigkeitsgemeinschaft“ kommt in diesem Urteil nicht vor. (Beides per Suchfunktion geprüft)

Auch der Hinweis „in diesem Sinne“ auf das Urteil des BVerwG VII C 48.73 ist nicht korrekt. Das BVerwG hatte sich nur auf die Leistungsfähigkeit des kirchenangehörigen Ehegatten, nicht aber auf die der Ehe als Ganzes bezogen (Ziffer II 4 c, geprüft per Suchfunktion). Das BVerwG hatte folgerichtig die Besteuerung nach Lebensführungsaufwand per Kirchgeldtabelle auf den Fall „mangels eigenen Einkommens kirchensteuerfrei“ eingegrenzt. (Ziffer II 4 c, ebenso: II 3 d).  Zu den Mängeln des Urteils  I R 85/94 siehe vorstehend.

Der BFH-Beschluss I B 23/96 hat die tragenden Gründe des verfassungsrechtlich hier maßgeblichen Urteils 1 BvR 606/60 (bei eigenem Einkommen KiESt zwingend, kein Zusammenrechnen der Einkomen) nicht berücksichtigt. Die Missachtung dieser Bindungswirkung von § 31 (1) BVerfGG verstößt gegen Art. 20 Abs. 3 GG (Bindung an Gesetz und Recht) (BVerfG, 2 BvR 1964/05, Ziffer  B II 1). Der BFH-Beschluss I B 23/96 stellt daher keine rechtskonforme Begründung für ein besonderes Kirchgeld bei eigenem Kirchgeld darf, insbesondere auch nicht für künftige Fälle.

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4.3        BFH-Beschluss I B 43/96

Der BFH-Beschluss vom 16.12.1996 – I B 43/96 behauptet entspechend unter Verweis auf BFH I R 85/94:

„Danach ist der Halbteilungsgrundsatz auch bezogen auf die Erhebung von rk. Kirchgeld verfassungsrechtlich unbedenklich.

Dieses Urteil I R 85/94 sei zwar zu Kircheneinkommensteuer bei konfessionsverschiedener Ehe ergangen,

„Es liegt jedoch auf der Hand, daß es für die Anwendung des § 5 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 KiStO entsprechend gelten muß.“

„Auf der Hand“ liegt allenfalls das Gegenteil, sofern man das dieses Urteil I R 85/94 gelesen hat und die einschlägige Rechtsprechung des BVerfG kennt und anwendet. Das BVerfG hatte die Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes bei glaubensverschiedener Ehe expressis verbis verboten (1 BvR 606/60, Leitsatz). Das Obiter dictum im BVerfG-Urteil 1 BvR 606/60 (Ziffer C II 2) bezieht sich nach Belastungsgrund („mangels eigenen Einkommens kirchensteuerfrei“) und Besteuerungsgegenstand (Lebensführungsaufwand) wegen des Grundsatzes der Indiviualbesteuerung ausschließlich auf die Person des kirchenangehörigen Ehegatten und nicht auf die (glaubensverschiedene) Ehe als Gemeinschaft. (s. Abschnitt II 2.6)  Es wurde offensichtlich nicht gelesen.

Bei Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer im Splittingverfahren (§ 32 a 5 EStG) sind die Ehepartner gemeinsam ein einziger Steuerpflichtiger (§ 26 b EStG). Demgegenüber hat BVerfG in seinen Urteilen vom 14.12.1965 zur kirchlichen Besteuerung unmissverständlich festgestellt, dass die Kirche nur ihre Mitglieder besteuern darf, bei glaubensverschiedener Ehe also nur den kirchenangehörigen Ehegatten. Damit scheidet jede Übertragbarkeit der Regeln zur Aufteilung der Kircheneinkommensteuer auf die Besteuerung bei glaubensverschiedener Ehe aus, weil die Individualbesteuerung vorgeht.

Mit dem o.a. Satz aus I R 43/06 wird die gesamte einschlägige Rechtsprechung des BVerfG negiert. Implizit wird der Grundsatz der Individualbesteuerung zugunsten der Haushaltsbesteuerung aufgegeben. Beides, ohne irgendeine Rechtsgrundlage zu benennen. Von einem Hinweis auf § 31 BVerfGG ganz zu schweigen.

Aus dem Urteil  I R 85/94 ist ein Entfall des Halbteilungsverbots aus BVerfG  1 BvR 606/60 nicht ableitbar. (s.o.)

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Abschließend heißt es in I R 43/96, der „Beschluss“ des BVerfG 1 BvR 606/60 sei durch „die spätere Rechtsprechung des BVerfG überholt“, ohne eine solche zu benennen.

Eine solche spätere Rechtsprechung des BVerfG zu den Grundsätzen des besonderen Kirchgeldes gibt es aber nicht.
Der erste Senat des BFH hat hier offensichtlich den damals vieldiskutierten Halbteilungsgrundsatz zur Besteuerung des Einkommens [3] (betraf die Maximalhöhe von Steuern) mit dem bei der kirchlichen Besteuerung (betrifft die hälftige Zuordnung des Einkommens) verwechselt oder zumindest gleichgesetzt.

Das BVerfG bestätigt diese Einschätzung insoweit, als es mit Beschluss vom 28.10.2010 – 2 BvR 591/06 u.a. seine Rechtsprechung zur kirchlichen Besteuerung v.a. von 1965 und „insbesondere“ sein Urteil 1 BvR 606/60 von 1965 als nach wie vor gültig bestätigt.

Der BFH-Beschluss I B 43/96 hat die tragenden Gründe des verfassungsrechtlich hier maßgeblichen Urteils 1 BvR 606/60 (bei eigenem Einkommen KiESt zwingend, kein Zusammenrechnen der Einkomen) nicht berücksichtigt. Die Missachtung dieser Bindungswirkung von § 31 (1) BVerfGG verstößt gegen Art. 20 Abs. 3 GG (Bindung an Gesetz und Recht) (BVerfG, 2 BvR 1964/05, Ziffer  B II 1). Der BFH-Beschluss I B 43/96 stellt daher keine rechtskonforme Begründung für ein besonderes Kirchgeld bei eigenem Kirchgeld darf, insbesondere auch nicht für künftige Fälle.

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4.4      BFH  I B 92/99

Der Beschluss des BFH vom 27.4.2000 – I B 92/99 fusst anteilig auf  I R 85/94 und ist entsprechend ungenau bis irreführend.

Er betraf die Frage, ob bei einer glaubensverschiedenen Ehe „die Kirchensteuer“ (also wohl die KiESt) gegen den kirchenangehörigen Ehegatten nach dessen Anteil an den Gesamteinkünften des Ehepaares bemessen werden darf, wie es im dortigen KiStG festgelegt war.

Der BFH hat die entsprechende Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen.

Der BFH habe vergleichbare Vorschriften wiederholt für verfassungsgemäß erachtet. Darüberhinaus habe er in seinem Urteil  I R 85/94 die Halbteilung bei konfessionsverschiedenen Ehen für „unbedenklich“ gehalten.

„Aus dieser Rechtsprechung lässt sich unmittelbar ableiten, dass die hier zu beurteilende Regelung ebenfalls mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar ist.“

Es ist für uns nicht erkennbar, weshalb aus einer Rechtsprechung zur konfessionsverschiedenen Ehe (zwei Kirchensteuerpflichtige) etwas für eine Regelung bei glaubensverschiedener Ehe (ein Kirchensteuerpflichtiger) „unmittelbar ableitbar“ ist. Eine solche „Ableitung“ bedeutet, dass ein nicht kirchensteuerpflichtiger Ehepartner der Kirchensteuer unterworfen wird. Für das BVerfG war in den Urteilen vom 14.12.1965 die Frage der individuellen und getrennten kirchlichen Steuerpflicht konstitutiv gewesen. Die zugehörigen Fragen wurden vorstehend diskutiert.
Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 14.12.1965 – 1 BvL 31/62 die dortige Streitfrage fein säuberlich danach getrennt, ob glaubens- bzw. konfessionsverschiedene Ehe vorliegt (Ziffer B). Schon daraus ergibt sich, dass die Regelungen der beiden Fallkonstellationen nicht wahlfrei aufeinander übertragen werden dürfen. Daher entsprechen Urteilsbegründungen mit derartigen Übertragungen von vornherein nicht der Rechtsprechung des BVerfG, an die die Gerichte via § 31 (1) BVerfGG gebunden sind. (vgl. Abschnitt II 6.2)

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Soweit die Klägerin sich auf das Verbot der Halbteilung aus BVerfG 1 BvR 606/60 berufe, reiche das für eine Revision nicht aus, da der BFH sich in  I R 85/94 bereits ausführlich mit dieser Rechtsprechung auseinandergesetzt habe.

Dem ist nicht zuzustimmen. In I R 85/94 hat der BFH zwar auf das Besteuerungsrecht der Kirchen nur gegen Mitglieder sowie auf das Verbot des Halbteilungsgrundsatzes aus 1 BvR 606/60 Bezug genommen. Andere der relevanten Urteile vom 14.12.1965 hat er nicht erwähnt. Insbesondere nicht 1 BvL 31/62, das verbietet die Kirchensteuerpflicht an der Ehe auszurichten (Ziffer C I 2 a bis c).

Die Fragwürdigkeit und begrenzte Relevanz der Erörterungen in I R 85/94 zum „gewandelten Verständnis der Ehe“ hatten wir aufgezeigt (s.o.)

Bedenklich ist auch hier, dass dem BFH offensichtlich ziemlich egal ist, ob in einer Ehe einer oder beide Ehepartner kirchensteuerpflichtig ist – anders als das BVerfG, für das die Frage der Steuerpflicht wegen Art. 2 (1) GG essentiell ist.

Der BFH-Beschluss I B 92/99 hat die tragenden Gründe des verfassungsrechtlich hier maßgeblichen Urteils 1 BvR 606/60 (bei eigenem Einkommen KiESt zwingend, kein Zusammenrechnen der Einkomen) nicht berücksichtigt. Die Missachtung dieser Bindungswirkung von § 31 (1) BVerfGG verstößt gegen Art. 20 Abs. 3 GG (Bindung an Gesetz und Recht) (BVerfG, 2 BvR 1964/05, Ziffer  B II 1). Der BFH-Beschluss I B 92/99 stellt daher keine rechtskonforme Begründung für ein besonderes Kirchgeld bei eigenem Kirchgeld darf, insbesondere auch nicht für künftige Fälle.

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4.5       Zusammenfassung

Das BFH-Urteil I R 85/94 ließ den Eindruck entstehen, das Verbot des Halbteilungsgrundsatzes für die kirchliche Besteuerung bei glaubensverschiedener Ehe auf dem Urteil des BVerfG vom 14.12.1965 – 1 BvR 606/60 sei überholt und aufgrund einer späteren Rechtsprechung des BVerfG aufgehoben.
Der grundlegende Fehler ist, dass Regeln des Einkommenssteuerrechts (zwei Steuerpflichtige) auf das Kirchensteuerrecht bei glaubensverschiedener Ehe (ein Steuerpflichtiger) übertragen werden.
Daraus ist zumindest eine deutliche Fehlentscheidung des BFH entstanden ( I B 43/96), dazu einige erstinstanzliche.

Nach unseren Recherchen hat sich das BVerfG nach 1965 nur zum Halbteilungsgrundsatz bei der Besteuerung von Einkommen und Vermögen geäußert. Der Beschluss des BverfG vom 28.10.2010 – 2 BvR 591/06 etc. bestätigt diese Auffassung, denn darin hat das BVerfG die Rechtsfragen zur kirchlichen Besteuerung als geklärt angesehen, und zwar „inbesondere“ durch 1 BvR 606/60 vom 14.12.1965.

Von einer Aufhebung des Halbteilungsgrundsatzes beim besonderen Kirchgeld kann also keine Rede sein, wie der BFH in I R 68/96 korrigierend festgestellt hat. Zudem werden die logischen Regeln der Schlussfolgerung mindestens so großzügig gehandhabt wie die des Nachweises von Rechtsgrundlagen.

Die auf BFH  I R 85/94 aufbauenden Entscheidungen sind schon deshalb – gelinde gesagt – nicht geeignet, ein besonderes Kirchgeld bei eigenem Einkommen des kirchenangehörigen Ehegatten zu begründen.

Alle diese Entscheidungen haben die tragenden Gründe des verfassungsrechtlich hier maßgeblichen Urteils 1 BvR 606/60 (bei eigenem Einkommen KiESt zwingend, kein Zusammenrechnen der Einkomen) nicht berücksichtigt. Die Missachtung dieser Bindungswirkung von § 31 (1) BVerfGG verstößt gegen Art. 20 Abs. 3 GG (Bindung an Gesetz und Recht) (BVerfG, 2 BvR 1964/05, Ziffer  B II 1). Diese Entscheidungen stellen daher keine rechtskonforme Begründung für ein besonderes Kirchgeld bei eigenem Kirchgeld darf, insbesondere auch nicht für künftige Fälle.

Der BFH-Beschluss vom 8.10.2013 – I B 109/12 auf Basis von BVerfG  2 BvR 591/06 und explizit  1 BvR 606/60 rückt die Dinge vollends gerade.

 

Stand 11/2015, überarbeitet 07/2017

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Anmerkungen:

[1]  BVerfG, Beschluss vom 17.1. 1957 – 1 BvL 4/54

[2]  BVerfG, Urteil vom 14.12.1965 – 1 BvR 606/60, Ziffer C I 2 a

[3] Vgl. z.B. BVerfG, 2 BvL 37/91 vom 22. Juni 1995,  Beschluss vom 18. Januar 2006  2 BvR 2194/99
oder: http://www.iww.de/gstb/archiv/bundesverfassungsgericht-bverfg-erteilt-halbteilungsgrundsatz-als-belastungsobergrenze-eine-absage-f31332

 

 

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