8. Weitere Entwicklungen

Die Rechtsprechung zum besonderen Kirchgeld bei Eigenverdienst hat sich in den letzten Jahren ein klein wenig verschoben.

Der BFH ist in die Defensive geraten und musste seinen Beschluss I B 28/18 sehr verworren gestalten, um die Revision abweisen zu können. Die nächste, derzeit anhängige Nichtzulassungsbeschwerde baut darauf auf, verbunden mit entsprechenden Anträgen auf Ablehnung wegen Befangenheit. Mal sehen, ob der BFH den Mumm aufbringt, sich hier an Gesetz und Recht zu halten.

Das OVG Lüneburg und das VG Frankfurt mussten einräumen, dass im Beschluss des BVerfG 2 BvR 591/06 der Kernsatz zur Besteuerung des Lebensführungsaufwandes nicht dem Original entspricht, weil die Einschränkung „mangels eigenen Einkommens kirchensteuerfrei“ fehlt. Daher haben die beiden Gerichte eine „Fortentwicklung“ erfunden, die es nach dem Wortlaut des BVerfG-Beschlusses aber nicht gibt. Mal sehen, ob das BVerfG in der anhängigen Verfassungsbeschwerde seine wahrheitswidrige Tatsachenbehauptung zur verfassungsrechtlichen Grundlage der Besteuerung des Lebensführungsaufwandes wiederholt.

Das VG Frankfurt und das FG Münster haben in neueren Urteilen versucht, mit einer differenzierteren Argumentation als sonst das besondere Kirchgeld bei Eigenverdienst zu retten. Dadurch ist aber nur die Anzahl der Fehler in diesen Urteilen angestiegen. So hat das FG Münster nicht einmal erkannt, dass in NRW die Vergleichsberechnung gilt. Mal sehen, wie die beiden Gerichte mit den entsprechenden Vorhaltungen in ihren derzeit anhängigen Verfahren umgehen.

Demgegenüber zeigen kirchliche Entscheidungen, dass die hier vertretene Auffassung – besonderes Kirchgeld nur wenn einkommenslos – sehr wohl begründet ist.

Auf derartige Themen geht dieser Abschnitt etwas näher ein. Das soll helfen, Einsprüche und Klagen genauer zu begründen, um Kirchen, Behörden und Gerichte weiter in die Defensive zu treiben.

 

Inhaltsverzeichnis

8.1  Staatliche Positionierungen

8.2  Kirchliche Positionierungen

8.3  Aufhebung des besonderen Kirchgeld in der Ev.-luth. Landeskirche in Bayern (ELKB)

8.4  Aufhebung des besonderen Kirchgeldes im Bistum Trier

8.5 Aufhebung eines besonderen Kirchgeldes durch alt-kath. Kirche Berlin

 

8.5 Aufhebung eines besonderen Kirchgeldes durch alt-kath. Kirche Berlin

Alt-kath. Kirche erklärt besonderes Kirchgeld bei Eigenverdienst für rechtswidrig

Nach den KiStG der Länder dürfen die Kirchen bei glaubensverschiedener Ehe das sog. besondere Kirchgeld auf das gemeinsam zu versteuernde Einkommen der Ehegatten erheben. Laut Bundesverfassungsgericht von 1965 sowie Bundesverwaltungsgericht von 1977 ist dies aber nur beim einkommenslosen kirchenangehörigen Ehegatten zulässig, alles andere sind Falschdarstellungen.

Diese verfassungsrechtliche Vorgabe wird im staatlichen und kirchlichen Landesrecht dadurch ausgehebelt, dass mit der sog. „Vergleichsberechnung“ einfach die höhere der beiden angeblich gleichermaßen zulässigen Steuern – KiESt bzw. besonderes Kirchgeld – erhoben wird.

Dagegen ist die Klägerin in dem hier berichteten Fall erfolgreich vorgegangen, allerdings erst nach einem zähen Rechtsstreit.

Letztlich hat die alt-Katholische Kirche Berlin „auch aufgrund“ eines Antrags auf Zulassung der Berufung gegen ein Urteil des VG Berlin einen Bescheid über ein besonderes Kirchgeld bei Eigenverdienst wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben und in einem neuen Bescheid stattdessen nur KiESt auf diesen Eigenverdienst festgesetzt. Das Finanzamt Berlin-Schöneberg hat dies akzeptiert und bei der Neu-Festsetzung der Kirchensteuer die sog. Vergleichsberechnung nicht angewendet.

Wir geben nachfolgend einen Überblick über das Verfahren und die zugehörigen Rechtsfragen.

Widerspruchsverfahren

Das Finanzamt Berlin-Schöneberg hatte gegen die kirchenangehörige Klägerin für das Steuerjahr 2013 ein besonderes Kirchgeld gemäß Kirchgeldtabelle festgesetzt.

Die Klägerin hat dagegen wegen ihres Eigenverdienstes Widerspruch eingelegt. Sie verwies v.a. auf die verfassungsrechtliche Grundlegung des besonderen Kirchgeldes im Urteil des BVerfG vom 14.12.1965 – 1 BvR 606/60. Danach darf der Lebensführungsaufwand „dann“ kirchlich besteuert werden, „wenn“ der kirchenangehörige Ehegatte einer glaubensverschiedenen Ehe „mangels eigenen Einkommens kirchensteuerfrei bliebe“.

Die Katholische Kirchengemeinde der Alt-Katholiken Berlin (nachfolgend: alt-kath. Kirche Berlin) stellte dies im Widerspruchsverfahren v.a. mit Hinweis auf den Beschluss des BVerfG  2 BvR 591/06 in Abrede und wies den Widerspruch ab.

Tatsächlich beruht die Entscheidung in diesem BVerfG-Beschluss von 2010 aber auf einer wahrheitswidrigen Tatsachenbehauptung des BVerfG über seine eigene Rechtsprechung von 1965: Das BVerfG behauptet in diesem Beschluss, es habe bereits 1965 die Besteuerung des Lebensführungsaufwandes ohne die Einschränkung „mangels eigenen Einkommens kirchensteuerfrei“ für zulässig erklärt. Dies entspricht aber nicht dem originalen Text seines Urteils 1 BvR 606/60 – Falschzitat durch Weglassen. Näheres in Abschnitt III 6.

Klage und Urteil

Die Klägerin erhob Klage vor dem VG Berlin (Az.: VG 27 K 28.15). Die alt-kath. Kirche Berlin wurde von einer renommierten Großkanzlei vertreten.

Das VG Berlin hat die Klage mit Urteil vom 21.01.2020 abgewiesen. Die Urteilsbegründung weist Fehler zugunsten der beklagten Kirche auf, wie z.B. das Übersehen von Vorschriften, Falschzitate, Missachtung von § 31 BVerfGG, usw. usf.

Antrag auf Zulassung der Berufung

Daher hat die Klägerin Antrag auf Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2  Nr. 1, 3  und 4  VwGO eingereicht (OVG Berlin-Brandenburg  12 N 44/20).

Weil das VG Berlin die Rechtslage nur unzureichend erfasst hatte, wurde der eigentlichen Begründung des Antrags eine zusammenfassende Darstellung der Rechtslage vorangestellt. Sodann wurden v.a. erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1  VwGO) vorgetragen, wie z.B.:

  • Das VG habe die einschlägige Rechtsprechung des BVerfG nicht zur Kenntnis genommen und seine Bindung an deren tragende Gründe entgegen § 31 BVerfGG missachtet.
  • Das VG habe die Vergleichsberechnung übersehen, die Abgabenordnung (AO) übersehen, § 4 Abs. 3 Satz 1 KiStG Berlin zur Berechnung der KiESt grob missgedeutet sowie durch Übergehen von § 3 Abs. 1 Nr. 1a KiStG Berlin willkürlich eine nicht vorhandene Bestimmtheit des KiStG Berlin vorgespiegelt.
  • Das VG habe die Heranziehung zu dem streitigen besonderen Kirchgeld entgegen BVerfG und AO mit dessen Bemessung begründet.
  • Das VG habe sich auf Rechtsprechung von BFH (I R 44/05 ff.) und BVerfG (2 BvR 591/06) berufen, die ihrerseits auf Falschzitaten und dem Übersehen von Vorschriften beruht. Ein Urteil des EGMR habe das VG nur anhand unzutreffender kirchlicher Publikationen herangezogen.

Aufhebung des besonderen Kirchgeldes

Eine Erwiderung der beklagten alt-kath. Kirche Berlin gegen diesen Antrag auf Zulassung der Berufung ging der Klägerin nicht zu. Die einzige Reaktion der alt-kath. Kirche Berlin war ein erneuter Widerspruchsbescheid:

Nach „erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage“ und „auch aufgrund“ des anhängigen Rechtsstreites ergehe ein neuer Widerspruchsbescheid: „Dem Widerspruch der Widerspruchsführerin wird abgeholfen“. Die früheren Bescheide würden aufgehoben, soweit darin ein besonderes Kirchgeld gegen die Klägerin festgesetzt worden war.

Demnach folgt die alt-kath. Kirche nun nach „erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage“ der Rechtsauffassung der Klägerin, dass bei Eigenverdienst ein besonderes Kirchgeld verfassungsrechtlich nicht zulässig ist.

Durch diese Aufhebung müsse die Kirchensteuer neu berechnet werden. Der ursprüngliche Bescheid des Finanzamtes Berlin-Schöneberg werde geändert. Es werde allein Kirchensteuer vom Einkommen (KiESt) nach § 9 Abs. 1 Alt. 1 KiStO ak i.V.m.  § 3 Abs. 1 Nr. 1a KiStG Berlin festgesetzt. Die Vergleichsberechnung des § 9 Abs. 2 KiStO ak, auf den sich frühere Bescheide der alt-kath. Kirche Berlin berufen hatten, wird nicht mehr erwähnt.

Begründung der Aufhebung

Die alt-kath. Kirche Berlin hat keinerlei inhaltliche Begründung für diese Aufhebung ihrer früheren Bescheide und des Steuerbescheides des Finanzamtes Berlin-Schöneberg mitgeteilt. Sie hat insoweit nur auf § 130 Abs. 1 AO verwiesen. Danach kann ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise zurückgenommen werden, sofern er „rechtswidrig“ ist.

Man darf wohl annehmen, dass die beauftragte Kanzlei der alt-kath. Kirche Berlin davon abgeraten hat, sich dem beantragten Berufungsverfahren zu stellen, weil sie angesichts des Zulassungsantrags von über 70 Seiten ein erhebliches Risiko sah, dass der alt-kath. Kirche Berlin die Erhebung des besonderes Kirchgeldes bei Eigenverdienst grundsätzlich untersagt werden könnte. Dem konnte die alt-kath. Kirche Berlin nur dadurch entgehen, dass sie für den streitigen Einzelfall ihren früheren Bescheid zurück nahm, was aber nach der AO nur wegen Rechtswidrigkeit möglich ist.

Worin diese Rechtswidrigkeit bestand, hat die alt-kath. Kirche Berlin nicht mitgeteilt. Der Sach- und Rechtslage nach kann sie aber nur darin bestehen, dass ursprünglich ein besonderes Kirchgeld trotz des Eigenverdienstes der Klägerin (also entgegen BVerfG 1 BvR 606/60) festgesetzt worden war, denn genau dieses wurde nun zugunsten von KiESt aufgehoben.

Ein Verwaltungsakt ist rechtswidrig, wenn er gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstößt, ermessensfehlerhaft ist oder eine Rechtsgrundlage überhaupt fehlt (nach AEAO).

Der nun aufgehobene ursprüngliche Bescheid der alt-kath. Kirche Berlin beinhaltete keinerlei fallspezifisches Ermessen, sondern folgte allein den einschlägigen Bestimmungen des KiStG Berlin und der  KiStO ak. Die o.a. Rechtswidrigkeit kann also nur darin bestehen, dass die Bestimmungen, die zu einem besonderen Kirchgeld bei Eigenverdienst geführt haben, nicht der Verfassung gemäß sind.

Der Zulassungsantrag hatte dazu dezidiert vorgetragen, und der erneute Bescheid erging ja „auch aufgrund“ dieses Zulassungsantrags – andere Schrift­sätze gab es im Verfahren 12 N 44/20 nicht. Angegriffen wurden darin die Bestimmungen, die ein besonderes Kirchgeld auch bei Eigenverdienst ermöglichen (§ 3 Abs. 1 Nr. 5 KiStG Berlin, § 4 Abs. 1 Ziff. b KiStO ak) sowie die Vergleichsberechnung (§ 9 Abs. 2 KiStO ak; staatl. Bekanntmachung über Kirchensteuerbeschlüsse Ziff. 2).

Finanzamt

Die alt-kath. Kirche Berlin hat das Finanzamt Berlin-Schöneberg „angewiesen“, die Kirchensteuer gegenüber der Klägerin „entsprechend vorzunehmen“, also nur KiESt festzusetzen. Das Finanzamt Berlin-Schöneberg hat zwischenzeitlich die resultierenden Rückzahlungen geleistet.

Das Finanzamt Berlin-Schöneberg hat somit die Rechtsauffassung der alt-kath. Kirche Berlin akzeptiert, dass das besondere Kirchgeld bei Eigenverdienst rechtswidrig ist und entgegen der regelmäßigen Bekanntmachung der Kirchensteuerbeschlüsse durch den Finanzsenator Berlin die Vergleichsberechnung nicht angewendet.

Schlussfolgerungen

Die alt-kath. Kirche Berlin ist nach der Ev.-Luth. Landeskirche Bayern und dem Bistum Trier nun die dritte Kirche, die einräumt, dass das besondere Kirchgeld bei Eigenverdienst rechtswidrig ist.

Die alt-kath. Kirche Berlin hat diese Rechtswidrigkeit zwar nur für den berichteten Einzelfall festgestellt. Es liegen aber keinerlei Besonderheiten vor, die eine Eingrenzung auf nur diesen Fall begründen könnten. Die festgestellte Rechtswidrigkeit liegt allein in den einschlägigen Bestimmungen, soweit diese ein besonderes Kirchgeld entgegen BVerfG 1 BvR 606/60 bei Eigenverdienst des kirchenangehörigen Ehegatten ermöglichen.

Nach dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (Art. 3 Abs. 1 GG, § 85 AO) muss diese Feststellung der Rechtswidrigkeit eines besonderen Kirchgeldes bei Eigenverdienst seitens alt-kath. Kirche Berlin gegenüber allen ihren Mitgliedern gelten. Aus diesem Grund können diese beanspruchen, dass die Kirchensteuer bei Eigenverdienst auch für sie nach § 9 Abs. 1 Alt. 1 KiStO ak i.V.m.  § 3 Abs. 1 Nr. 1a KiStG Berlin festgesetzt wird, also nicht nach § 9 Abs. 2  KiStO ak (Vergleichsberechnung) – denn dieses wäre ja nach Auffassung der alt-kath. Kirche Berlin rechtswidrig (§ 130 Abs. 1 AO).

Das Finanzamt Berlin-Schöneberg hat für das Land Berlin diese Feststellung einer Rechtswidrigkeit des besonderen Kirchgeldes bei Eigenverdienst mitgetragen, indem es einer Abänderung seines Steuerbescheides nicht entgegengetreten ist und die Vergleichsberechnung bei der Ermittlung der Kirchensteuer nicht angewendet hat, obwohl der Finanzsenator Berlin dies in seiner Bekanntmachung über die Kirchensteuerbeschlüsse vorsieht.

Soweit andere Berliner Kirchen das besondere Kirchgeld bei Eigenverdienst erheben, so erfolgt die Festsetzung auch dort letztlich allein aufgrund der Vergleichsberechnung. Daher sollten sich Kirchgeldgeschädigte in Berlin in ihren Widersprüchen gegen ein besonderes Kirchgeld bei Eigenverdienst wegen des Grundsatzes der Gleichmäßigkeit der Besteuerung auf dieses Vorgehen des Finanzamtes Berlin-Schöneberg berufen.

 

 

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